HIV-positiv

Sie leben mit HIV oder stehen einem HIV-positiven Menschen nahe. Die Aids Hilfe Bern berät und unterstützt Sie in allen Lebenslagen. Unser Handlungsansatz ist ressourcen- und lösungsorientiert. Die Gespräche sind vertraulich und anonym. Die Beratung ist kostenlos und wird in Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch angeboten. Auf Anfrage organisieren wir eine Übersetzung in weitere Sprachen.

HIV-positiv: was nun?

  • HIV-positiv: Was heisst das genau?
  • Diagnose HIV: Welches sind die nächsten Schritte?
  • Wie finde ich den richtigen Arzt, die richtige Ärztin?
  • Jetzt eine Therapie beginnen oder erst später?
  • Welchen Sinn hat mein Leben noch?
  • Was tun, wenn ich auf Unterstützung angewiesen bin? Nicht mehr allein wohnen kann? Pflege brauche?


Arbeit, Geld und Recht

  • Ist die Übertragung von HIV strafbar?
  • Muss ich den Arbeitgeber über meine HIV-Diagnose informieren?
  • Was ist bei einem Stellenwechsel zu beachten?
  • Wie steht es um meine Versicherungen?
  • Wie kann ich meine finanzielle Existenz sichern?


Familie, Freundinnen, Kollegen, Chefin

  • Wem soll ich wann von meiner HIV-Infektion was erzählen?
  • Wie reagieren Menschen, die nicht HIV-positiv sind?
  • Kann ich mich mit anderen HIV-positiven Menschen auszutauschen?


Sexualität, Partnerschaft, Kinderwunsch

  • Wie erzähle ich meinem Partner oder meiner Partnerin von meiner HIV-Infektion?
  • Muss ich auf ein glückliches Sexualleben, eine erfüllte Beziehung und Kinder verzichten?


Termine nach telefonischer Vereinbarung. Kontakt

Fakten zum Leben mit HIV

HIV und Recht
Medizinische Aspekte
HIV im Alltag

Selbststärkungsgruppe für Frauen mit HIV

Seit 2015 unterstützt die Aids Hilfe Bern die Selbststärkungsgruppe des Vereins Positive Frauen Schweiz (PFS) in Bern organisatorisch und finanziell. Es handelt sich dabei um ein regelmässiges Austauschtreffen, welches von betroffenen Frauen für interessierte HIV-positive Frauen angeboten und durchgeführt wird. Dabei beschäftigt sich die Gruppe mit allen Aspekten des Lebens rund um HIV wie Diagnose, Medikamente, Therapie, Sexualität, Selbstwertgefühl, Lebenserwartung u.v.m. Ziel ist die gegenseitige Unterstützung sowie Stärkung, der Erfahrungsaustausch und die Förderung der Solidarität untereinander. Die Treffen finden jeweils alle sechs Wochen am Dienstagabend zwischen 19-21 Uhr statt. Anmeldungen und Einstieg sind jederzeit möglich. Angaben zum Durchführungsort erhalten Sie telefonisch bei der Aids Hilfe Bern. Kontakt

 

Daten 2024:

Dienstag 30.01.2024

Dienstag 19.03.2024

Dienstag 28.05.2024

Dienstag 30.07.2024

Dienstag 24.09.2024

Dienstag 26.11.2024

Dienstag 10.12.2024 (Weihnachtsessen)

Peer to Peer Begleitung

Das Peer to Peer Projekt richtet sich an Menschen, die mit HIV leben und Unterstützung brauchen.

Der Umgang und die Auseinandersetzung mit HIV bedeutet häufig eine Herausforderung trotz guten Behandlungsmöglichkeiten. Die Angst mit Menschen aus dem persönlichen Umfeld über die HIV-Erkrankung sprechen zu können, führt nach wie vor oft zu sozialer Isolation und Einsamkeit. Hinzu kommen vielfältige Belastungen im Alltag, vor allem auch mit dem Älterwerden. Die Aids Hilfe Bern bietet durch die Peer to Peer Begleitung eine Möglichkeit zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch und eine individuelle Unterstützung im Alltag. Es handelt sich dabei um eine Begleitung von Betroffenen für Betroffene. Das Angebot ist streng vertraulich, kompetent und unterstützend. Die Peers werden engmaschig durch die Aids Hilfe Bern bei ihren Einsätzen begleitet. Das Angebot steht aktuell in Deutsch, Französisch und Englisch zur Verfügung und soll insbesondere auch Migrant_innen ansprechen.

Unterstützung ist in folgenden Bereichen möglich:

  • Gespräche und Begleitung
  • Freizeitgestaltung
  • Unterstützung bei administrativen Aufgaben
  • Begleitung zum Arzt, ins Spital oder zu Behörden
  • Transporte
  • Spital- oder Gefängnisbesuche
  • Hilfe im Haushalt (wenn Bereitschaft von Peer vorhanden)
  • Einkäufe besorgen, Essen zubereiten
  • Hilfe bei der Körperpflege usw.


Spricht Sie das Angebot an und wünschen Sie eine solche Begleitung oder haben Sie Interesse, sich als Betroffene_r in diesem Projekt zu engagieren, dann nehmen Sie mit uns Kontakt auf.

Easy-Peasy

Sie leben mit HIV und möchten sich mit anderen Menschen, die mit HIV leben austauschen und Kontakte knüpfen? Easy-Peasy ist ein Begegnungsort, organisiert von Mitarbeiter_innen der Aids Hilfe Bern, die mit HIV leben und bietet die Möglichkeit, Fragen zu stellen und das Leben zu feiern. Für virtuelle und anonyme Begegnungen gibt es einen Gruppenchat über die sichere App Threema. Für echte Begegnungen vor Ort, findet einmal pro Monat ein organisiertes Treffen in Bern statt.

Für den Zugang zum Gruppenchat auf Threema oder für mehr Informationen können Sie sich gerne bei der Aids Hilfe Bern via Telefon 031 390 36 32 oder E-Mail easy-peasy@ahbe.ch melden.

Flyer

Älter werden mit HIV

Positiv sprechen

Wollen Sie sich als HIV-positive Person für unsere Anliegen engagieren? Wir vermitteln im Projekt "Positiv sprechen" Menschen mit HIV an Schulen oder Ausbildungsstätten, die von ihrem Leben mit HIV berichten. Dafür werden sie speziell geschult und erhalten eine Entschädigung. Bei Interesse rufen Sie uns an. Kontakt

Portraits

In unseren 35 Jahren Aids-Arbeit haben wir viele Menschen mit dem HI-Virus kennen gelernt und begleitet. In den folgenden Portraits kommen sie zu Wort.

Serafino

Ende der Sechzigerjahre erschütterte ein schweres Erdbeben die sizilianische Provinz Agrigent. 370 Menschen starben, über tausend wurden verletzt. Und hier beginnt Serafinos ganz persönliche Odyssee.

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Das Erdbeben
Ende der Sechzigerjahre erschütterte ein schweres Erdbeben die sizilianische Provinz Agrigent. 370 Menschen starben unter den Trümmern ihrer Häuser, über tausend wurden verletzt. 70.000 Menschen verloren ihr Dach über dem Kopf. Und hier – mit dieser Erschütterung der Erde – beginnt Serafinos ganz persönliche Odyssee.

Damals ist Serafino ein kleiner Bub, der bei seinen Grosseltern in Sizilien lebt. Seine Eltern waren Jahre zuvor in die Schweiz migriert, wie zahlreiche andere italienische Staatsbürger auch. Doch plötzlich steht er da, Serafinos Vater, holt den kleinen Buben, steigt mit ihm ins Flugzeug und nimmt ihn mit in die fremde Schweiz. «Ich bin wie wild herumgehüpft im Flugzeug. Hey, ich bin vorher noch nie geflogen, weiss noch genau wie das war!», erzählt er auf lebendige Art. «Viel Energie, ja das hatte ich schon immer. Heute würde man vielleicht hyperaktiv dazu sagen», berichtet er. Seine Hände und Arme, sein ganzer Körper bewegen sich beim Erzählen der Geschichte. Auch heute noch, nicht mehr ganz jung, versprüht Serafino eine immense Lebensenergie. Wie wäre sein Leben wohl verlaufen, wenn damals die Erde nicht gebebt hätte? Solche Weichenstellungen und Schicksalsmomente gab es viele in Serafinos Leben.

Die Siebziger
Nun war er also plötzlich in der Schweiz. Ein guter Schüler sei er gewesen: «Mathe und so, das hab ich alles – zack – im Buch gelesen und hatte es gleich im Griff. Aber gell, meine Energie, die hibbelige Art, das trieb manchen zur Weissglut», erzählt Serafino. Er fiel auf, wo auch immer er hinkam. Das Augenmerk lag auf dem jungen Wilden. Aber er sei eine ehrliche Haut gewesen, ahnungslos, wenn nicht sogar etwas naiv. «Dann fing das mit dem Töfflifrisieren an. Das war halt illegal. Hey ja, das war einfach noch eine komplett andere Zeit.» So wurde Serafino, der friedliche Störenfried und temperamentvolle Secondo, wegen des Töfflifrisierens von heute auf morgen in eine Beobachtungsstationen für Schwererziehbare gebracht. Wurde für ganze zwei Jahre von seinen Eltern getrennt und ins Heim gesteckt. Dort erst lernte er die Drogen, das Stehlen und Leute aus der Szene kennen.

Die Szene
Und so, mit dem Eintritt in die Beobachtungsstation, nahm seine Odyssee ihren weiteren Lauf: Basel, Zürich, Italien, wieder Zürich – und dort das ganze Programm mit AJZ, Platzspitz und Letten – Lugano, immer wieder Italien, Thun, Bern und so weiter. «Wie das eben so ist als Junkie. Da bist du nirgendwo und überall daheim. Alles dreht sich um die Drogen, um den nächsten Schuss. Von daheim auf die Gasse, von der Gasse wieder nach Hause. Super echt!», sagt Serafino voller Ironie.

Er erinnere sich erstaunlicherweise noch sehr klar an diese verschwommene, diffuse Zeit seines Lebens. Gefängnisaufenthalte, Therapieversuche, Diebstähle, seine besorgten Eltern, die ihn immer wieder aufgefangen haben, die Polizei, die Sozialarbeiter. Und er mittendrin, überall als hoffnungsloser Fall abgestempelt.

«Manchmal denke ich, hey wie war das alles möglich? So viel habe ich erlebt, gesehen, gemacht. Und immer wieder versucht, damit aufzuhören. Aber das ist ein irrer Teufelskreis, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Wir alle, die mit jedem Tag tiefer in diesen Sumpf gerieten, hatten nur einen Traum: Eines Tages auszusteigen, für immer nach Thailand.» Aber als Heroinabhängiger sei man zuunterst auf der Stufe, der letzte Dreck für die Polizei, der letzte Dreck für die Dealer.

Das HI-Virus
Im Jahr 1984, irgendwann mitten in dieser turbulenten Zeit und zwischen all den Stationen, hat es Serafino erwischt. «Hey, wegen zwölf Gramm Heroin wurde ich in Italien rausgenommen und bekam vier Jahre unbedingt, wovon ich fast drei Jahre gesessen bin. Damals wurde bei einem Test meine HIV-Infizierung festgestellt.» Serafino war in sehr schlechter Verfassung. Die letzten Jahre und das bereits fortgeschrittene Stadium der Infizierung hatten ihre Spuren hinterlassen, die Ärzte gaben ihm noch 18 Monate. Doch er kämpfte – wenn auch noch einige weitere Jahre im selben Teufelskreis. Er sei immer ein stolzer und gläubiger Mensch gewesen, daraus habe er wohl seine Kraft geschöpft. «Ich vertrug die damals neuen Medikamente schlecht, setzte sie also ab, obwohl die Krankheit laut Ärzten bereits ausgebrochen war. Ich habe keine Ahnung, wie ich das geschafft habe.»

Die Aids Hilfe Bern hat Serafino praktisch von Anfang an begleitet, ihn beim Bewältigen von administrativen, rechtlichen und medizinischen Hürden unterstützt. Das werde er niemals vergessen, niemals. Seit vielen Jahren nimmt er Medikamente, die das HIV soweit als möglich eindämmen. Serafino geht es soweit ganz gut. «Viel mehr will ich aber bei den Arztbesuchen jeweils gar nicht wissen. Ich kenne meinen Körper und solange ich mich gut fühle, möchte ich mein zweites Leben geniessen.»

Es scheint, dass Serafino dem Thema HIV keinen grossen Platz in seinem Alltag einräumen will. Auch sprechen tue er fast mit niemandem darüber, das käme gar nicht gut, sagt er. Die Menschen seien noch immer verunsichert im Umgang mit HIV.

Der Wendepunkt
Zurück zum Teufelskreis: Damals, in den Neunzigern, lernte er während einem Aufenthalt in einem Schweizer Gefängnis eine Pfarrerin kennen, die ganz anders war als viele andere Menschen. Durch sie habe er erst verstanden, was der Glaube an Gott bedeute. «Ich versuchte mein Leben umzukrempeln und fing eine Therapie an. Dort habe ich zwar immer wieder einen Grund finden wollen, um als hoffnungsloser Fall abgestempelt zu werden und dadurch im gewohnten Teufelskreis zu bleiben. Gottseidank misslang es. Ich habe eine totale Kehrtwende vollzogen. Durch den Glauben an Gott, der mich bis heute durch alle schwierigen Situationen getragen hat, nehme ich die Kraft, um zu leben.»

Seine Lederjacke, die er auch an diesem Abend trägt, habe ihn vor rund zwanzig Jahren sozusagen gerettet. Er zeigt stolz die braune Jacke, die noch aussieht wie neu. «Ich war in der Therapie, wollte endlich drogenfrei werden. Auf einem Konto lag noch etwas Geld und so kaufte ich mir diese schöne Jacke. Als ich von der Stadt zurückkam, fragten sie mich, woher ich das Geld dafür hätte. Die waren alle richtig erpicht darauf. ‚Gopferdelli, ich darf mir doch eine Jacke kaufen‘, hab ich gesagt.» Aber Serafino wäre verpflichtet gewesen, seine finanziellen Ersparnisse offenzulegen. Wütend brach er die Therapie ab, lief davon, flüchtete in sein altes Muster, ging zu seiner Mutter. Doch anders als die vielen Male zuvor liess ihn seine Mutter nicht mehr nach Hause kommen, nahm ihn nicht mehr auf. «Das war der Wendepunkt. Da hab ich geschnallt, hey jetzt oder nie!»

Serafinos Drogentherapie verlief nach dieser Erkenntnis erfolgreich und er ist bis heute drogenfrei geblieben. Er schloss eine Ausbildung und mehrere Weiterbildungen ab. Heute lebt Serafino mit seiner Frau und gemeinsamen Kindern auf dem Land.

Über seine Odyssee wissen nicht viele Menschen Bescheid. Dass er HIV-positiv ist erst recht nicht. «Beim HIV ist es anders als bei normalen Krankheiten, das Wissen um die Krankheit verändert sofort die zwischenmenschlichen Beziehungen», sagt er mit Nachdruck. Serafino hat diesen Fakt zu oft am eigenen Leib erfahren. «Sobald meine Vergangenheit zum Vorschein kam, sind Freundschaften komischerweise zu Ende gegangen. Mitleid und Verachtung braucht man nicht. Es ist schade, dass wir in einer Gesellschaft leben, in welcher der Schein mehr wert ist als das Sein.»

Gespräch & Text: Rea Wittwer

Katharina

Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht: «Ich war verliebt in diesen Mann.» Wer kennt sie nicht, die starken Emotionen, die aufflammen, wenn man sich zu einem Menschen hingezogen fühlt? Wer kennt schon die Liebe nicht?

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Die Liebe.
Ein kaum merkliches, nachdenkliches Lächeln huscht über Katharinas Gesicht, als sie sagt: «Ich war verliebt in diesen Mann.» Wer kennt sie nicht, die starken Emotionen, die aufflammen, wenn man sich zu einem Menschen hingezogen fühlt? Wenn man fasziniert, überglücklich und gebannt ist? Und immer auch ein bisschen geblendet. Wer kennt schon die Liebe nicht?

«Es war kompliziert, wir führten eine Distanzbeziehung, konnten uns oft nur am Wochenende sehen. Das Ganze war nicht einfach.» In den 90-er Jahren, als noch nicht alle ein Handy hatten, war es entsprechend schwieriger, den Kontakt zu halten. Katharina erzählt mit einer sanften, angenehmen Stimme ihre Geschichte. Eine Geschichte, die von Liebe, Trauer und Schweigen, von Akzeptanz und Treue handelt.

Die Diagnose.
Übel und komisch sei ihr gewesen. Schweissausbrüche, Magenkrämpfe und Schwindel wechselten sich ab. 35 Jahre alt war Katharina damals, 1998. Die Ärzte sagten ihr, es sei alles in Ordnung. «„Wechseljahre“, sagte der eine Arzt, ein anderer meinte, ich sei wohl etwas verstopft.» Nach rund einem Monat fühlte sich die junge Frau nicht besser und ging zur Untersuchung zum Frauenarzt. «Dort wurde mir mitgeteilt, dass ich schwanger sei. Das war eine grosse Überraschung, damit hatte ich nicht gerechnet.» Der Mann jedoch, den sie liebte, wollte das nicht glauben. Das könne nicht sein, er sei bestimmt nicht der Vater. Katharina erzählt, dass sie ihn danach nie mehr gesehen hat.

Zwei Wochen darauf rief der Arzt an, Katharina solle nach Bern kommen, es sei dringend. «Ich war verunsichert, hatte Angst, dass etwas mit dem Kind nicht stimmt.» Der Arzt empfing Katharina in seiner Praxis, meinte zur Assistentin, es könne etwas länger dauern. Er schloss die Tür hinter sich und sagte ihr dann: «Es tut mir sehr leid, Ihnen das sagen zu müssen. Ihr Blut wurde getestet, Sie sind HIV-positiv.»

Katharinas Welt geriet ins Wanken, drohte zusammenzubrechen. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf: Wie geht es dem Kind? Wie soll alles weitergehen, alleine und krank? Was mache ich nun? Wo ist wohl der Mann und weiss er, dass er auch betroffen ist? Wem sage ich es? Will ich überhaupt noch leben?

Die Familie.
Zuhause angekommen dachte sie daran, aus dem Fenster zu springen. Einfach springen, dann wäre alles vorbei. Eine ihrer fünf Schwestern rief an. «Sie hat gleich gemerkt, dass etwas los ist und fuhr mit ihrem Mann und unseren Eltern sofort zu mir. Diesen Rückhalt spüre ich bis heute, dafür bin ich sehr dankbar.» Ihr Sohn wuchs während der ersten zwei Jahre bei ihren Eltern auf. Danach sorgte Katharina selber für ihr Kind, als alleinerziehende, berufstätige Frau mit Unterstützung aus dem privaten Umfeld und der Aids Hilfe Bern. Die Behörden allerdings seien einfach nur auf ihre Bürokratie versessen.

Katharinas Verhältnis zu ihren Schwestern, ihrem Bruder und den Eltern ist bis heute ein gefestigtes. Mit den Schwestern mache sie hie und da Ausflüge, Wanderungen oder Spielabende. Wichtig ist ihr das gemütliche Beisammensein. Katharinas Sohn ist heute 15 Jahre alt, es geht ihm gut. Er will Bauzeichner lernen und macht fleissig Hausaufgaben. Ihr Sohn kam ohne HIV-Infektion zur Welt. «Ich musste in der Schwangerschaft täglich Medikamente schlucken, um die Viren zu unterdrücken. Mein Sohn kam per Kaiserschnitt zur Welt, wegen der Ansteckungsgefahr. Ihm wurden während der ersten Lebenswochen ebenfalls starke Medikamente verabreicht, ich durfte ihn auch nicht stillen.»

Damals wurde im Spital ihre Bettwäsche gar separat gewaschen. Manche Ärzte waren wenig vertraut mit dem Thema und hätten besonders ihre Eltern falsch informiert. Katharina fühlte sich in solchen Momenten wie eine Aussätzige. Dass sie HIV-positiv ist, wussten lange Zeit nur sehr, sehr wenige Menschen.

Das Schweigen.
«Ich habe immer gespürt, wem ich meine Krankheit anvertrauen wollte und wem lieber nicht. Das spürt man ganz deutlich. In ganz vielen Fällen habe ich lieber geschwiegen.» Zu oft habe sie mitbekommen, wie Menschen andere Menschen leichtfertig verurteilen, abstempeln, diskriminieren. «Dabei weiss man ja nie, welche Geschichte ein Mensch hat und mit sich herumträgt.»

Bei der Arbeit wussten ihre Vorgesetzten und einige wenige Arbeitskollegen von Katharinas Diagnose. Die Arbeit war ohnehin ein Rettungsanker und eine willkommene Ablenkung von den einsamen, traurigen Momenten in der Nacht. Denn schlafen, das konnte sie nicht mehr so gut. Und so ging Katharina lange Zeit sehr gerne zur Arbeit, nahm die ihr übertragene Verantwortung gewissenhaft wahr. Sie sagt: «Ich war ein Workaholic.»

In der Freizeit widmete die junge Mutter all ihre Kraft und Zeit ihrem kleinen Buben. «Wir haben ganz viel unternommen, waren oft draussen und machten viele Ausflüge. Ich habe einfach funktioniert, ich musste, und das war auch gut so.»

Die Erschöpfung.
Doch irgendwann, vor ein paar Jahren, war Schluss. Bei der Arbeit geschah ein unschöner Zwischenfall. Katharina fühlte sich nicht mehr willkommen, nicht mehr wohl und ihr Alltag nahm eine Wende. «Ich war plötzlich wie ausgebrannt, war oft müde, sehr müde. Bis heute hält das an. Gefühle, ob gute oder schlechte, habe ich keine mehr.»

Katharina sagt, sie verspüre weder Freude noch Trauer, das sei ihr irgendwo auf ihrem Weg abhandengekommen. Trotzdem ist ihr Gesichtsausdruck ein weicher, herzlicher. Ihre Gegenwart ist sehr angenehm und ihr Lachen scheint von tief innen zu kommen.

Das Akzeptieren.
Katharina traf auf Menschen, die ihr geholfen haben, mit der Diagnose und den Hürden im Alltag umzugehen. «Die Aids Hilfe Organisation bot stets Unterstützung, wenn es um rechtliche Fragen oder administrative Herausforderungen ging. Dort hat immer jemand ein offenes Ohr. Und was mir besonders gut tut ist, wenn ich meine Geschichte erzählen kann. Deshalb mache ich mit beim Projekt „Positiv sprechen“ der Aids Hilfe Bern. Mein Sohn kam auch einmal mit, auch er hat die Fragen der Schülerinnen und Schüler beantwortet und meinte danach, Mami, das war jetzt ein schöner Abend.» Das Akzeptieren der eigenen Geschichte sei ein ganz wesentlicher Schritt zu etwas mehr Ruhe und Frieden. «Das ist mein Schicksal, das ist mein Leben. Ich lerne, damit umzugehen.»

Gespräch & Text: Rea Wittwer

Marta

In 2002 I married a Swiss man, which was the reason I came to live here. Shortly after my decision to come to Switzerland, I got my HIV diagnosis. It was more by chance and not really intentional.

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Interview with a silent misfit
The following interview was held with Marta, 40 years old, from Tanzania*


When did you come to Switzerland and for what reasons?
I came to Switzerland for the first time in 1998, on holiday for three months. In 2002 I married a Swiss man, which was the reason I came to live here and why I also have a Swiss passport.

When did you get your HIV diagnosis?
In 2003, shortly after my decision to come to Switzerland.

How did you get the diagnosis, by chance or did you have the intention to get tested?
It was more by chance and not really intentional. I had some stomach problems and was not feeling too well, so I went to the doctor. At the doctor’s they took a blood test and found out that I am HIV positive. First they called my husband, and then they also informed me about my diagnosis.

How did you feel after getting your diagnosis?
First of all, I just thought that they were joking and that this couldn’t be true. I couldn’t accept that I have such “a terrible disease”, even after being at the doctor several times and at the INSEL hospital I still didn’t want to accept the diagnosis. My husband then told me that I have to accept the diagnosis and that I should stop cheating myself. But I felt really bad after the diagnosis and only wanted to die; I didn’t want to live anymore. Honestly, I really had serious depression at first.

But after having been to the INSEL hospital several times and after they explained to me that being HIV positive doesn’t mean a real decline in the quality of life, thanks to HIV therapy, and that I can still live a more or less “normal” life, I began to accept my disease.

Did you know who infected you? And have you talked with this person about HIV?
I don’t really know for sure who infected me, but I guess it was my former boyfriend in Africa. I only heard that he died some years ago and that his wife did as well. Hence, my assumption might be quite true.

And no, I never talked to him about this, but this is also because I didn’t see him again after I came to Switzerland.

Did you know anything about HIV before you got your diagnosis? Was it a topic widely discussed in your environment?
Of course I knew that this disease existed. But in our community and in my environment in Africa it was not really taken seriously and no one really discussed it earnestly, even if we knew that one can also die from this disease. Also, most of the prevention possibilities such as condoms were not really taken seriously at that time.

How were the reactions of your family, friends, partners, employers? Or don’t they know about your diagnosis?
I didn’t tell them about my diagnosis, most of them don’t know. Not even my daughter and we are sharing an apartment. One day I will certainly tell her, but I don’t feel that she is strong enough at the moment, and I don’t think that she can handle my diagnosis that well, because she also has many sorrows on her own because she has a child and is unemployed. She sometimes asked me why I take so many medicines, but I have never told her the real reason why. But at the moment I have some serious back pain and this is my excuse for taking so many medicines a day.

Did you have someone to speak about your disease/ diagnosis? Maybe even someone who is also HIV positive?
First of all it was really difficult to talk about my diagnosis with someone, even if my husband told me that I have to accept my diagnosis, he didn’t do so at all. For some time after the diagnosis, he asked me to sleep in a separate bedroom, and I really felt that he feared my disease – maybe because he was HIV negative. He thought that I wanted to infect him on purpose, but I didn’t know about my disease before I came to Switzerland, which he didn’t really believe. Hence, after some time and after not really being accepted by him anymore, I decided to leave him. So I coulnd’t really talk about it with him.

But a really good friend of mine who lives in Germany called me one morning and told me that she was HIV positive and this was the first time I also spoke to someone else about my diagnosis. She then came to Berne and we met several times to discuss our situation etc. This exchange with her really helped me. Otherwise I often mostly talked to doctors about my diagnosis, and also at the AIDS Hilfe Bern I really have some people with whom I can talk about everything, which is really helpful, also on an emotional level.

With what consequences did you have to deal after your HIV positive diagnosis? Legal, physical, emotional?
On a legal level it was only an issue to get complementary health insurance, which was refused to me due to my chronic disease.

With regard to my job it was okay, because I worked 12 years at the same place, so there my diagnosis was not an issue, because they didn’t know about it. I was also still able to work after my diagnosis. I was only really tired in the evening due to the HIV therapy I suppose. Therefore, on a psychical level the consequences were quite well absorbed due to the therapy.

On an emotional level it was really hard, as I already told you, but the possibility to talk about it really help me.

Do you see any differences in the perception of HIV in Switzerland and in your home country? Publicly and Medically?
On a public level not really; there are almost no differences when it comes to stereotyping and prejudices with regard to HIV positive people and AIDS. It is the same in Switzerland and Africa and it is mostly because people don’t really know much about this disease. Most of them simply still fear it and don’t really know that it might be treated with medicaments quite well.

On a medical level, there is of course a huge difference. The therapies and medical advancements are really good in Switzerland. In Switzerland you have the newest medicines available, which might not be the case in Africa.

Do you feel discriminated in your everyday life? And if so, how is this demonstrated?
I don’t really feel discriminated, because my disease is not visible a first sight. Usually only after the coming out and after having talked to someone is my disease visible.

At first it is, to be honest, more about my skin colour than about my diagnosis. For example, while I was looking for a flat in Bern, I searched for over a year which was really difficult. Sometimes the landlord did not even look at me or talked to me when I showed up for a flat viewing. One time there were around 20 people interested in the flat and the landlord only answered the questions of the others, but not my questions nor the questions of an elderly woman, who also felt quite discriminated.

Do you sometimes feel socially excluded due to your HIV diagnosis? Or due to your migrant background?
It was only really hard when my husband isolated me more and more, but he knew about my diagnosis.

Social exclusion is something I face more because of my migrant background than because of my disease. It is quite difficult for me to build up a social life in Bern, I only have some 2 or 3 friends. And my neighbours, for example, are not really interested in establishing some kind of relationship with us. With regard to social life I sometimes really miss home, where the whole social order is very different and more open-minded.

Do you feel discriminated or rather limited due to your diagnosis while looking for a partner?
This is one of the most difficult aspects of my diagnosis; it is really difficult finding a partner. I really fear not being accepted once I tell my potential partner that I am HIV Positive. I am looking for a partner but I don’t really know how to tell them about my diagnosis. Who will take me with my diagnosis? I also met some people with HIV Positive and this is much easier, because you can openly talk about it right from the beginning.

Do you feel you “misfit” into society due to your migrant background and your diagnosis? Do you sometimes still feel as a stranger in Switzerland and if so, how is this demonstrated in your everyday life?
I don’t feel a stranger anymore in Switzerland, I really feel at home here, and I also accept and respect the Swiss way of life. Sometimes I have to fit in, so I cannot always really behave as I would in Africa. As I already told you, I feel more of a misfit because of my migrant background then because of my diagnosis.

Sometimes, for example, at my work as a cleaning lady at an old people’s home it was not always easy to build up trust with the elderly people. Often they put some money on a table in their room and then waited to see if I would steal the money or not. So the stereotype they have of the “stealing African” is kind of strong in this old people’s home. After they were sure that I don’t steal, they accepted me and were really nice to me. So there was certainly a bit of discrimination.

I am unemployed at the moment, because I lost my job due to my back problems. I am looking for a job. There I also sometimes face difficult situations, employers ask funny questions etc.

Overall I certainly feel the discrimination, but I can’t simply change this, so I have to get used to it and try not to get depressed because of it. I have a lot of positive energy and I also believe in myself.

Do you feel as “a silent misfit” because HIV is somehow not visible at first sight
I am really okay with my diagnosis now, I am a strong woman and can handle this quite well, compared to my daughter who I think wouldn’t be strong enough to handle my diagnosis at the moment.

(Observation by Delia Imboden: Her self-perception is really good and strong, she has a certain strategy for coping with the everyday discrimination she has to face)

Do you feel that you yourself are behaving as a misfit due to your diagnosis? Did your behaviour towards yourself change since the diagnosis?
Not really, but it is also because many people don’t really know that I am HIV positive. Of course I sometimes hide myself, for example when I am taking my therapy I often say that I have back problems and that these are the reason for taking medication. Somehow my back illness functions as an excuse.

Is gender an issue with regard to your diagnosis? Do you think the fact that you are a woman affects the association with your diagnosis?
Yes, I think so. Especially while looking for a partner it is really difficult, there are also some really weird and strange men. Some of them are really worried and afraid and also really cold…It is much easier to talk to HIV positive men than to HIV negative in this regard.

The AIDS HILFE BERN counsellor told me that you only agreed to give an interview because I am not from an African community in Bern, why so?
You know, the community is really important for us, and gossip is everywhere and people just don’t know what they are talking about. Last time I met a man from the same region where I came from at MIGROS and he asked me if I had heard that someone else from the community is HIV positive and he was not really talking about this nicely. So this was kind of difficult for me, because I am also HIV positive.

How did you get to know about the AIDS Hilfe Bern? And how did this service changed your situation?
A nurse at the INSEL hospital told me about the service of the AIDS Hilfe Bern and gave me the address; also because she knew I had some financial problems.

Do you feel more accepted and integrated now due to the help of the AIDS Hilfe Bern?
Yes somehow. They really help me with many issues and also on an emotional level it really helps me a lot to have someone to talk about all my problems, not only my disease.

*personal data was slightly modified in order to protect Marta’s real identity, but the data is still significant and representative.

Gespräch & Text: Delia Imboden

Köbi

«Als ich mit 26 Jahren erfahren habe, dass ich HIV-positiv bin, stellte ich mich innerlich auf den Tod ein», sagt Köbi ruhig. Denn damals gab es noch keine Medikamente, die er mit gutem Gefühl hätte zu sich nehmen wollen.

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Die Verweigerung
«Als ich mit 26 Jahren erfahren habe, dass ich HIV-positiv bin, stellte ich mich innerlich auf den Tod ein», sagt Köbi ruhig. Denn damals, Mitte der Achtzigerjahre, gab es noch keine Medikamente, die er mit gutem Gefühl hätte zu sich nehmen wollen. «Ich stand mit der amerikanischen PWA-Bewegung in Kontakt, die an vorderster Front über AIDS, AZT und dessen Nebenwirkungen aufgeklärt hat.» Azidothymidin, kurz AZT, wurde in den Sechzigerjahren ursprünglich als Krebsmedikament erforscht. 1985 hatte ein amerikanischer Wissenschaftler festgestellt, dass AZT die Vermehrung von HIV stoppen kann. Die unter dem Handelsnamen Retrovir® vertriebene Substanz war mit rund 10‘000 Dollar Behandlungskosten pro Patient und Jahr das bis dahin teuerste verschreibungspflichtige Medikament. Wer diese Therapie antreten wollte, musste einen exakten Zeitplan einhalten: alle vier Stunden eine Tablette. Nebenwirkungen dieses Wundermittels: starkes Erbrechen, Kopf- und Bauchschmerzen, Gleichgewichtstörungen, Fieberschübe mit Schüttelfrost und Anämie. «Ich habe mich dieser Therapie verweigert und gleichzeitig auf ein besseres Medikament gehofft», erzählt Köbi. Es sei eine verrückte Zeit gewesen damals, chaotisch, mit 3'500 Neuansteckungen in einem Jahr. Viele Betroffene und Ärzte hätten nach dem rettenden Strohhalm gegriffen.

Schliesslich fand Köbi nach einigen Monaten intensiver Suche endlich einen Arzt, der bereit war, ihn als Patient zu behandeln. «Das Unwissen unter Medizinern war riesig, viele waren hilflos und die Angst vor HIV und Aids war gross.» Nachdem Köbi sich gegen die damals gängige Therapie entschieden hatte, ging es ihm viele Jahre relativ gut: «Ich habe mich in meinen Job gestürzt, der mir sehr viel bedeutete. Mein Umfeld habe ich informiert, habe nichts versteckt, auch nicht meine Homosexualität. Wahrscheinlich würde ich heute etwas weniger breit und grosszügig kommunizieren», sagt er nachdenklich. «Es ist immer noch ein heikles Thema und man hat das Messer vielleicht eher im Rücken, als man denkt.»

Der Kampf
Doch 1994 ging es gesundheitlich bergab. Mehr und mehr sicht- und spürbare Spuren traten auf. Das Aids hatte Köbi fest im Griff. Es sei eine schlimme Zeit gewesen, ein langer Kampf um sein Leben, das er doch jetzt noch nicht hergeben wollte. Doch er, der sich im Laufe der vergangenen Jahre tief in die medizinische Thematik und Forschung rund um HIV und Aids eingearbeitet und ein grosses Fachwissen angeeignet hatte, wartete immer noch auf die richtige Therapie. «Die Krankheit hat mir meine Existenzberechtigung entzogen. Ich habe mir in dieser Zeit geschworen, dieses Übel aus der Welt zu schaffen.»

Im letzten Moment, als sein Körper bereits andere begleitende Krankheiten entwickelt hatte und die Kräfte zusehends schwanden, wurde die lang erwartete Dreifach-Therapie zugelassen. «Es grenzt an ein Wunder, dass ich heute hier sitzen kann», sagt der gross gewachsene, kräftige Mann. Und in seiner sonoren Stimme schwingt sowohl Dankbarkeit als auch Erstaunen mit. Köbi sprach gut auf die neue Therapie an. Seine Viruslast, das heisst die Menge der Viren im Blut, sank schon nach wenigen Wochen auf 5000/ml. Zum Vergleich: Bei Menschen mit HIV, die keine Therapie einnehmen, gilt eine Viruslast von unter 10‘000 als niedrig. Grundsätzlich verfolgt die HIV-Therapie damals wie heute das Ziel, die Viruslast so weit zu reduzieren, dass das Virus nicht mehr nachweisbar ist. Das ist der Fall, wenn die Viruslast unter 20 bis 50 Viruskopien pro Milliliter Blut sinkt. «Langsam, langsam konnte ich meine Kräfte wieder aufbauen. Körper und Geist konnten sich erholen. Doch die letzte Meile dauerte lange und war hart, ich war erst nach drei Jahren wieder sehr beschränkt arbeitsfähig. In meinen früheren Job jedoch konnte ich nicht mehr einsteigen.» Bis 2008 kämpfte Köbi mit schweren Nebenwirkungen, trotz der inzwischen verbesserten Dreifach-Therapie. Die HIV-Therapien sind dennoch eine Erfolgsgeschichte – innert weniger Jahre konnten die Wirksamkeit gesteigert, die Pillenzahl gesenkt und die Nebenwirkungen massiv reduziert werden. Wenn er davon erzählt, fragt man sich, wie ein Mensch das alles aushalten kann. Und was ein mikroskopisch kleines Virus alles anrichten kann...

Das Engagement
«Ich muss was tun» sei einer der wichtigsten Impulse gewesen während all der Zeit. Als es dem inzwischen Mittfünfziger körperlich und psychisch besser ging, verschaffte er sich eine Arbeit mit passenden Rahmenbedingungen. Und was läge da näher als ein Engagement im Bereich der Patientenrechte, der Arzt-Patienten-Zusammenarbeit und -Kommunikation und der Forschung rund um das Thema HIV. «Ich habe all die Jahre sehr viel wissenschaftliches Material über HIV gelesen, bin von Kongress zu Kongress gereist, lernte wichtige Menschen auf diesem Gebiet kennen und vertiefte mein Wissen darüber.»

Seine Erkenntnisse, sein Fachwissen und die eigenen Erfahrungen teilt er sowohl mit Medikamentenbehörden, der Ärzteschaft als auch mit betroffenen Menschen. Heute wissen wir: Wenn die Ärzte es schaffen, ein Vertrauensverhältnis – oder schon „nur“ eine offene Gesprächsgrundlage – mit ihren Patienten herzustellen, ist ein grosser Schritt zu einem fast normalen Leben der Betroffenen getan. «Kann die Adhärenz, also die Therapietreue, sichergestellt werden, so haben HIV-positive Menschen eine sehr hohe Lebensqualität. Das bedingt aber, dass die Medikamente täglich und immer zur gleichen Zeit eingenommen werden. Ohne auch nur eine einzige Pause. Das ist gar nicht so einfach. Doch nur dann ist die Virenlast im Blut zu gering für eine Ansteckung.» So ist es heute denn auch möglich, dass ein HIV-positiver Mann mit einer HIV-negativen Frau Kinder zeugen kann, die gesund zur Welt kommen.

Die Hoffnung
Köbi hat sich nach vielen Jahren eines inneren und äusseren Kampfes gegen HIV und Aids seinen Platz im Leben regelrecht zurückerobert. Er wirkt gelassen und zufrieden. Mit dem 2008 veröffentlichten Statement der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF), dass eine erfolgreiche Therapie auch präventiv wirke, sei den Betroffenen eine riesige Last von den Schultern gefallen. Ein wichtiger Meilenstein war das. Ein Thema liege ihm aber immer noch sehr am Herzen. Man könnte es das Thema des Umdenkens nennen. Oder die Frage, welches Übel schlussendlich das kleinere sei. «Kürzlich sind die PREP-Studien in Paris und London abgebrochen worden, weil sie unerwartet erfolgreich waren. Einer Risikogruppe von Menschen, die ein äusserst reges Partyleben mit überdurchschnittlich häufig wechselnden Sexualpartnern ohne Schutz führen, wurde das HIV-Medikament Truvada präventiv verabreicht. Damit sind sie sozusagen immun gegenüber einer HIV-Ansteckung», so Köbi. In den USA werde die PREP-Intervention bereits erfolgreich angewendet, und das nur in gut definierten Risikogruppen. Doch wir alle wissen wie schnell sich ein Virus verbreiten kann, wenn es nicht aufgehalten wird. «Wir müssen begreifen, dass richtige Prävention komplexer geworden ist: ein Zaubermittel gibt es nicht. Es braucht den Einsatz vieler verschiedener Strategien und Themen wie PREP sollten offen diskutiert werden, um das Übel aus der Welt zu schaffen.»

Gespräch & Text: Rea Wittwer